Achtsamkeit
Mit allen Sinnen
Vom ersten Augenblick am Morgen, an dem der dingliche Ton des Weckers uns aus dem Schlaf holt, bis zu dem Moment, in dem wir unsere Augen schließen und zurück in die Sphären der Träume gleiten – unsere Sinne führen uns durch den Tag, leiten uns durch Routine und neue Erlebnisse. Ständig, fast unsichtbar und scheinbar mühelos. Sie geben vor, wie wir das Leben wahrnehmen oder genauer gesagt: Sie machen es gar erst erlebbar.
Im Gegenzug bringen wir unseren Sinnen bedingungsloses Vertrauen entgegen, wir verlassen uns einfach auf sie – denn wann hast du das letzte Mal ganz bewusst darauf geachtet, etwas Bestimmtes zu sehen, riechen, fühlen, hören oder schmecken?

Vom Überleben zum Erleben
Mit den Sinnen nehmen wir also alle Eindrücke und Reize aus der Umwelt wahr, um für uns relevante Informationen zu verarbeiten. Das meiste davon geschieht unterbewusst: Während deine Augen von links nach rechts über die hier geschriebenen Zeilen huschen und du mit deinen Fingern beim Runterscrollen das Touchpad berührst, nimmst du wahrscheinlich keine dieser Empfindungen als solche wahr. Würden wir alle Reize ungefiltert verarbeiten, wäre unser Gehirn nämlich maßlos überfordert.
Stattdessen konzentriert es sich auf Reize, die eine bestimmte Handlung implizieren, um die Aufgaben des Alltags zu bewältigen und uns vor Gefahren zu schützen. Sinne sind also in erster Linie überlebenswichtig – sie können unser Leben aber darüber hinaus noch auf einer ganz anderen, tieferen Ebene bereichern.
Unsere Sinne Schärfen
Den Moment in vollkommen bewusster Geistesgegenwart zu erleben und sich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren – das ist der Grundsatz der Achtsamkeit. So weit, so gut, das haben wir mittlerweile fast schon als altbekannte Ratgeberweisheit verinnerlicht. Doch während der Alltag mit all seinen To-Dos manchmal nur so an uns vorbeizusausen scheint, versuchen wir – ganz im Gegenteil zur Leitidee der Achtsamkeit – oft mit mehreren Aufgaben gleichzeitig zu jonglieren. Wir wollen effizient arbeiten und leben. Aber ist das als oberstes Ziel wirklich erstrebenswert? Denn wenn wir in diesen Autopilot-Modus hineingeraten, gehen uns oft leider die wunderschönen Details des Lebens verloren, die es vielleicht sogar lebenswert machen und uns retrospektiv besonders in Erinnerung bleiben.
Unsere 5 Sinne können wir ganz bewusst einsetzen, um unsere Umwelt langsamer und deutlicher wahrzunehmen: Wie würdest du die Farbe des Himmels beschreiben? Welche unterschiedlichen Geräusche dringen in diesem Moment zu dir vor? Könntest du sie zählen? So können wir lernen, ein besseres Gefühl für unsere Umgebung, aber vor allem auch für unser Innerstes und unseren Körper zu entwickeln. Die bewusst gelenkte Aufmerksamkeit der Sinne lässt sich im Grunde bei jeder Tätigkeit praktizieren – und besonders in der Natur, fernab von allen Ablenkungen, lernen wir, uns wieder auf unser Sinne zu verlassen.

Mit allen Sinnen durch
die Natur
Am besten, du brichst also zu einem achtsamen Spaziergang durch den Wald oder alternativ einen Park, über Wiesen und Felder auf. So kannst du eine Umgebung, die voller Sinneseindrücke steckt, intensiv erleben und dir eine Auszeit von deiner Routine gönnen.
Stell dir vor, dass du all die Dinge, die dir begegnen, zum aller ersten Mal erfährst. Du kannst auch versuchen, einen bestimmten Sinn auszublenden, um einen anderen zu schärfen: Wenn du deine Augen schließt, spürst du vielleicht, wie der Wind sanft dein Gesicht streift. Lasse die Augen geschlossen und lausche den Geräuschen: das Knistern der Äste in den Baumkronen, das Trommeln eines Spechts auf einen Stamm in der Ferne, das Plätschern eines Wasserlaufs, der sich unter einer Schicht Laub verbirgt. Vielleicht magst du auch die Schuhe ausziehen und die feuchte Erde unter deinen Füßen spüren. Wenn du die Augen wieder öffnest, kannst du jetzt bereits genauer wahrnehmen, wie die Blätter geformt sind und ihre unterschiedlichen Farbverläufe ausmachen. Nimm ganz genau wahr, welche Maserung sich auf den Baumstämmen bilden. Natur kannst du sogar schmecken (dafür musst du garantiert nicht in Moos beißen, versprochen): Atme einmal ganz tief durch den Mund ein und nimm wahr, wie die Luft schmeckt. Hölzern? Nach Erde? Vielleicht schmeckst du etwas, was du ganz und gar nicht einordnen kannst, weil du es zum ersten Mal empfindest – nimm es auf in deine ganz persönliche Schatzkiste der Wahrnehmungen.