Blickwinkel
Klapp den Laptop zu!
Dem Anfang unbeschwerter Urlaubstage liegt ein Zauber inne. Der Alltag liegt weit hinter uns und die Zeit des Loslassens beginnt. Wir fühlen, wie uns die Leichtigkeit mit einem sanften Kribbeln durchströmt und bis in unsere Fingerspitzen ausfüllt. Wie wunderbar wäre es, diese tiefe Unbeschwertheit auch während der Arbeit zu empfinden! Dann könnte uns nichts aus der Ruhe bringen: keine Deadline, keine Mail, kein kurzfristiges Meeting. Wir trügen die Stille tiefer Täler, die Besonnenheit eines schwülen Sommertags und die Euphorie trubeliger Sandstrände in uns. Von Stress weit und breit keine Sicht.
Ein gefragtes Arbeitskonzept bringt diese Ferienstimmung tatsächlich ins Büro – oder genauer gesagt, verlegt unseren Schreibtisch an einen Erholungsort. Juchee! Während einer Workation, übrigens ein Kofferwort aus den englischen Begriffen für Arbeit und Urlaub, kombinieren wir berufliche Aufgaben mit Urlaubserlebnissen: Wir arbeiten (zwar), allerdings an einem malerischen Ort, der verspricht, uns diesen Umstand im Handumdrehen vergessen zu lassen. Abseits unserer Routinen entfalten sich in traumhafter Atmosphäre neue Perspektiven, ungeahnte Kreativität und reichlich Gelassenheit.
Klingt doch gut, oder? Bevor du jetzt alles stehen und liegen lässt, um deine eigene Workation gleich in die Wege zu leiten, mach mit uns mal ein kurzes Gedankenspiel.

Zwischen Mails und Sandburgen
Du bist am Reiseziel deiner Träume, vielleicht sogar in einer unserer Cabins mitten in der Idylle der Natur. Die Blätter rascheln im Wind, die Libellen schwirren durch die Luft, die Sonne strahlt dir ins Gesicht, du blinzelst und lächelst zufrieden – um dann wieder auf deinen Laptop zu blicken. Dein Nacken macht sich schon etwas bemerkbar, weil du vorgebeugt zu deinem Bildschirm eigentlich recht unbequem sitzt. Du tippst in die Tasten, schickst eine Mail nach der anderen, arbeitest an einem komplizierten Budgetplan, an einer Präsentation, und ein großes Projekt musst du ebenfalls noch abschließen. Selbst die schöne Umgebung kann nicht davon ablenken: Du bist hier zum Arbeiten. Und wirst so langsam grummelig, weil dir auffällt, dass der Tag schon rum ist und die Sonne dich bisher eigentlich nur durchs Fenster gekitzelt hast. Für all das, was du sonst während einer Auszeit machen würdest, ist genauso wenig Zeit wie an deinem normalen Arbeitsplatz. Schwimmen, Sandburgen bauen, ziellos durch die Gegend schlendern, dir beim Frühstück so richtig Zeit lassen. Nun gut, immerhin bleibt dir noch der Abend – vorausgesetzt, du kannst pünktlich Feierabend machen und hast nach deinem konzentrierten Tag noch genug Energie.

Work-Life-Blending vs. Work-Life-Balance
Wir haben zunehmend Schwierigkeiten, in unserer modernen Arbeitswelt klare Grenzen zwischen Beruflichem und Freizeit zu ziehen. Auch dafür gibt es aus dem Englischen ein Wort: Work-Life-Blending – denn statt einer echten Work-Life-Balance mixen wir mittlerweile alles einfach nur noch zusammen. Erobert unsere Arbeit aber schließlich bis dahin unberührte Reiseorte, die eigentlich einer Pause vom Alltag vorbehalten sein sollten, wo kommen wir dann wirklich noch zur Ruhe? Wenn wir immer weniger abschalten können, verwehren wir unserem Körper lebenswichtige Erholungsphasen. Möglicherweise merken wir das nicht augenblicklich, aber langanhaltender Stress wirkt sich auf unsere gesamte Gesundheit und auf unser Wohlbefinden aus. Lassen wir die Screens allerdings einmal links liegen und lenken den Blick auf Bäumen, Büsche und Wiesen, entfalten diese ihre heilende Wirkung schon binnen weniger Minuten: Wir werden ruhiger und die Welt dreht sich langsamer.
Einfach einmal fünfe gerade sein lassen – das klingt banal, aber genau das brauchen wir manchmal. So werden unser Puls und unsere Atmung ruhiger und die Stresshormone im Blut schwinden. Unser Geist wird wach, unsere Stimmung wird hell, wir schöpfen neue Kraft.
Wie wäre es also mit einem Gegenvorschlag zur Workation: Wir gönnen uns öfter wirkliche Auszeiten und schaffen bewusst Raum für Erholung und Sorglosigkeit. Wir hätten sogar schon einen Namen für dieses Modell: Urlaub. Weit und lang müssen wir gar nicht reisen, stattdessen könnten wir auch spontane Tagesausflüge ins Grüne oder den Spaziergang durch unsere Nachbarschaft als kleine (aber wirkliche) Pausen zwischendurch zelebrieren. Aber bitte ganz ohne Verpflichtungen, To-dos und Termine. Vor allem ohne Laptop oder per Kopfhörer mit KollegInnen im Ohr.