Achtsamkeit
Ein Moment der Stille
Unsere Welt ist selten leise. Und wenn wir ganz ehrlich sind, ziehen wir all die Geräusche, die sie für uns bereithält, oft sogar der Lautlosigkeit vor. Sie geben uns schließlich das Gefühl, an etwas teilzuhaben – oder lenken uns ab. Stille hingegen bereitet uns manchmal sogar Unbehagen, wirkt sie doch oft wie eine Leerstelle, die es zu füllen gilt. Doch was passiert, wenn wir uns auf sie einlassen? Und vor allem: Wie gelingt das? Wir haben dazu mit Mindfulness Coach Nina Brockmann gesprochen.

Ein Gedicht erhält seine Melodie erst durch die bewusst gesetzten Pausen. Und ein Musikstück lebt von den kurzen Momenten ganz ohne Klang. Denn so erhält jede Note eine Bedeutung, jede Tonfolge ihre Wirkung. Und trotzdem fühlt sich Geräuschlosigkeit in unserem Alltag manchmal fremd an. Wenn das Radio aus ist und sich das Handy schon seit zwei Stunden nicht mehr gerührt hat – spätestens dann kommt das Gefühl auf, dass etwas nicht stimmen kann, dass wir produktiv sein müssen.
Hast du schon einmal versucht, dich im Alltag auf die kleinen Momente der Stille zu konzentrieren, statt nur auf die Geräusche, die dich umgeben? Wenn ja, ist dir aufgefallen, dass du, wenn du in die Stille hineinhorchst, auch ein kleines bisschen in dich selbst hineinhorchst? Zugegeben, oft funktioniert das besser, wenn es nicht komplett ruhig ist, wenn wir das Flüstern der Bäume oder das Plätschern eines Flusses hören. Doch mit ein bisschen Übung können wir Stille sogar selbst erzeugen.
Wie das gelingt und welche positiven Auswirkungen sie auf unser Wohlbefinden haben kann, dazu haben wir mit Mindfulness Coach Nina Brockmann anlässlich ihres Besuchs in unserer Cabin An der Pferdeweide gesprochen.

Foto: Nina brockmann/The Gnani
Liebe Nina, würdest du sagen, dass es in den letzten Jahrzehnten schwieriger geworden ist, Stille zu finden? Allein schon, da wir mittlerweile alle miteinander vernetzt und dauerhaft erreichbar sind?
Das denke ich schon. Und genau deswegen wird Stille auch ein immer größerer Wunsch. Wir haben so viele Dinge, wie den Griff zu Handy – zum Swipen, zum Texten – so verinnerlicht, er passiert mittlerweile so unbewusst, dass es extrem schwierig ist, es sich wieder abzugewöhnen. Wir werden unbewusst zu einer ständigen Unruhe gezwungen. Müssen unsere Grenzen neu abstecken, neu definieren. Der Schlüssel liegt darin, Balance zu finden.
Findest du, Stille ist positiv oder negativ konnotiert? Wenn du sagst, dass der Wunsch nach Stille wächst, hat sich vielleicht auch die Wahrnehmung dieses Begriffs gewandelt?
Stille war lange – und ist immer noch viel zu häufig – negativ konnotiert. Weil wir ja nichts „machen”, nichts erreichen, kein Stress stattfindet, den unsere Gesellschaft so gewohnt ist. Stress ist zu einer Komfortzone geworden, zu etwas, das wir brauchen. Aber das ist ein Trugschluss, den immer mehr Menschen erkennen – genauso, wie wichtig es ist, still zu sein.
Sind Ruhe und Stille denn dasselbe?
Ruhe ist nicht gleich Stille. Stille ist ein Zustand im Inneren, Ruhe einer im Außen. Es kann also im Außen noch so „still” sein, ich kann trotzdem innerlich unruhig sein. Die Kunst ist, Stille im Innen zu finden – unabhängig davon, wie viel Unruhe im Außen herrscht. Aber das ist wirklich die KönigInnendisziplin.
Inwiefern kann die Natur dabei helfen, dass wir Stille finden?
Natur ist manifestierte Stille. Was tut ein Baum anderes als zu sein? Und diese Energie ist ansteckend. Das merken wir schon beim ersten Schritt in den Wald. Dass Spaziergänge gut tun, ist kein Zufall. Weil wir zurückkehren, uns mit dem verbinden, was wir eigentlich sind. Was wir vergessen haben, zu sein. Natur spiegelt und reinigt uns – wenn wir es zulassen.

Fotos: Nina brockmann/The Gnani
Und wie gelingt es, sich im Alltag Zeit für Stille bzw. stille Momente zu nehmen? Wo(mit) kann man zum Beispiel anfangen, wenn es einem schwerfällt, sich Zeit für Stille zu nehmen?
Der beste Anfang von Stille ist eine gesunde und entspannende Morgenroutine. Wenn wir schon gleich am Anfang des Tages Zeit für uns eingeräumt und uns mit uns selbst verbunden haben, kann kommen, was wolle. Wir sind gewappnet. Haben einmal eingecheckt, unsere Gedanken geordnet, sind im Einklang – und lassen uns so im Laufe des Tages nicht so schnell aus der Bahn werfen. Es fällt uns dann leichter, immer wieder zu dieser Stille zurückzukehren, der wir morgens schon einmal „Hallo" gesagt haben.
Diese Routine kann die verschiedensten Formen haben, solange sie so bewusst, achtsam und mit so wenig Einfluss von außen wie möglich passiert. Mein Tag startet zum Beispiel idealerweise mit einem Kaffee im Bett, einer langen Gassi-Runde, einer Yoga-Session oder Meditation sowie einem gesunden Frühstück. Erst danach geht dann das Handy an. Ein schöner, stiller Tagesausklang ist für mich zum Beispiel auch eine meditative Dusche.
Es können wirklich simple Dinge sein. Wichtig ist jedoch, sich nicht abhängig zu machen von dieser Routine. Stille kann ihre Wirkung erst entfalten, wenn wir ihr Raum geben. Etwas unbedingt machen zu müssen, bewirkt das Gegenteil.
Welchen Effekt hat Stille auf unseren Geist und unseren Körper?
Stille beruhigt nicht nur unseren Geist, sondern wirkt sich auch positiv auf unseren Körper aus. Stille ist salopp gesagt das Gegenteil von Stress. Und wenn wir gestresst und ständig in Eile sind, so wie unsere Welt mittlerweile konstruiert ist, schüttet unser Körper Hormone aus, die unser Überleben sichern sollen. Wir befinden uns durchgehend in einer Art „survival modus”, obwohl es gar nichts zu fürchten gibt. Und dieser Stress kann sich in verschiedenen Formen auch sehr negativ im Körper manifestieren. Deswegen ist der allerwichtigste Schritt, einen Ruhepol und Balance in sich selbst zu etablieren, um all dem Stand zu halten, ohne sich wirklich anstrengen zu müssen.
„Ein Moment ist dann vollkommen, wenn man ihn genau so akzeptiert, wie er ist."
Wie kann man das meiste aus einem stillen Moment schöpfen – ohne da zu ergebnisorientiert zu sein …
Ein Moment ist dann vollkommen, wenn man ihn genau so akzeptiert, wie er ist. Das ist die Voraussetzung für alles weitere. Ich brauche keine Atemübung machen, wenn ich die ganze Zeit damit beschäftigt bin, zu bewerten, ob ich es richtig mache. Und auch Meditation kann erst dann ihre Wirksamkeit entfalten, wenn ich meine Erwartungen an sie loslasse. Ich liebe zum Beispiel Mantras. Sich eine Intention zu setzen, passende Mantras zu formulieren und zu verinnerlichen, ist unglaublich powerful.
Welche Geheimtipps hast du, um Gedanken zum Schweigen zu bringen und es im Kopf für einen Moment still werden zu lassen – etwa wenn man nervös ist oder beunruhigt?
Mein SOS-Tipp ist, sich der Situation, die uns triggert oder beunruhigt, zu entziehen. Physisch oder mental. Sprich Abstand gewinnen, indem wir den jeweiligen Raum verlassen, auch im Kopf. Wir werden nervös, wenn wir einem Gedanken Glauben schenken, den wir gerade haben. Wir springen auf ihn auf, was heißt, dass wir vergessen haben, wer wir eigentlich sind. Nämlich nicht unsere Gedanken, sondern der Raum, in dem sie stattfinden. Wir können uns so wieder mit dem „bigger picture” verbinden, Raum und Gedanken trennen, um uns zu fragen: Was daran ist gerade wirklich wahr? Und was nur eine Angst, die vorbeizieht?